Maria Noichl berichtet von ihrer Parlamentsarbeit in Brüssel und Straßburg (Bild: M. Noichl) Beginnen möchte ich meinen Bericht aus Brüssel mit einem Thema aus der letzten Plenarsitzungswoche in Straßburg. Dort haben wir am 19. April einen Bericht zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung angenommen. Die 2011 verabschiedete Richtlinie ist das europäische Äquivalent zu nationalen Schutzmaßnahmen (Maßnahmen, die den Schutz einer Person vor einer anderen Person sicherstellen sollen) und soll sowohl das Recht auf Schutz als auch das Recht auf Freizügigkeit Betroffener gewährleisten. Sie gilt für Betroffene aller Arten von Straftaten, darunter Opfer von Terroranschlägen, Menschenhandel, geschlechtsspezifischer Gewalt und organisiertem Verbrechen - gerade für Frauen war die Einführung dieses Schutzes deshalb eine gute Nachricht. Leider ist die Europäische Schutzanordnung bei den Opfern, für die eine nationale Schutzmaßnahme gilt, kaum bekannt und wird dementsprechend selten beantragt- ein Fakt, der dringend geändert werden muss. Wir haben daher mit diesem Bericht mehr Informationen und Kampagnen auf nationaler Ebene sowie erneut die schnelle Ratifizierung der Istanbul Konvention und insgesamt die Überprüfung der bestehenden Instrumente für den rechtlichen Schutz von Opfern von Straftaten und die Einführung eines entsprechenden kohärenten Rechtsrahmens der EU, gefordert.
Im Ausschuss ging es dann um den rechtlichen Rahmen der EU-Ratifizierung der Istanbul Konvention sowie um eine Studie über best practices im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen in Schweden. Zudem hatten wir die Gelegenheit, über eine Studie, die Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von Mobbing und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, an öffentlichen Orten und im politischen Leben vorstellt, zu diskutieren. Dabei machte die Studie deutlich, dass nach wie vor hauptsächlich Frauen von dieser strukturellen Form von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind - die Anzahl der betroffenen Männer aber weitaus über dem liegt, was bisher anzunehmen war.
Am Arbeitsplatz
Während gerade junge, ledige Frauen unter 30 ein besonders hohes Risiko haben, Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu werden, zeigt die Studie ganz klar, dass auch Frauen, die die gläserne Decke durchbrochen haben oder kurz davor sind, diese zu durchbrechen, eine stark betroffene Gruppe sind. Hier wird die Gewalt von Männern zur Abschreckung genutzt, um hohe Posten weiterhin in Männerhand zu belassen. Auch die Gesamtanzahl an Frauen in einem Unternehmen ist nach wie vor ausschlaggebend - je weniger Frauen, desto höher ist das Risiko von Belästigungen. Eine zu hohe Arbeitsbelastung oder starke Jobunsicherheit können zusätzliche Faktoren sein, die (sexuelle) Belästigung begünstigen. Und dort wo Mobbing stattfindet, ist der Weg zu (sexueller) Belästigung nicht mehr weit. Die Studie machte deutlich, dass es zudem stark vom Verhalten der ArbeitgeberInnen abhängt, ob solche Dinge am Arbeitsplatz passieren oder nicht. Machen diese klar, dass für solches Fehlverhalten null-Toleranz besteht, sinken die Fälle signifikant.
Im öffentlichen Raum
Da es leider noch keine EU-weite Studie gibt und die national erhobenen Daten hierzu häufig nicht vergleichbar sind, können leider noch keine Aussagen zur Häufigkeit dieses Problems auf europäischem Niveau getroffen werden. Die Studie schlägt als Anhaltspunkt über das Ausmaß eine britische Erhebung vor, die folgendes aussagt:
85% der befragten Britinnen zwischen 18 und 24 Jahren mussten bereits ungewollte, sexualisierte Beachtung erfahren
45% wurden bereits ungewollt sexualisiert berührt
Die Studie stellt darüber hinaus fest, dass das Bild von der dunklen, einsamen Gasse, in denen die Übergriffe stattfinden, nicht der Wahrheit entspricht. Es sind vielmehr belebte, laute Räume, oft Orte, an denen Alkohol konsumiert wird, an denen Frauen Opfer von sexualisierter Belästigung werden. Ein abstraktes Gefühl von Macht, männlicher Überlegenheit, eine schützende Menschenmasse und das Gefühl, ein Recht darauf zu haben, ist die Einstellung auf Seiten der Täter. Die unklare und überraschende Situation, die von den Betroffenen erst eingeordnet werden muss und die Komplizenschaft von PassantInnen, die nicht reagieren, führen dazu, dass so viele Täter ungeschoren davonkommen.
Wir sind in diesen Situationen täglich alle gefordert deutlich zu machen, dass wir dies nicht tolerieren und dass wir einschreiten. Wir dürfen Frauen, die im öffentlichen Raum, wie zum Beispiel in der U-Bahn, belästigt oder bedroht werden, nicht alleine lassen.
Beenden möchte ich diesen Newsletter mit einem erneuten Appell für die Istanbul Konvention. Nein heißt nein. Diese wichtige Errungenschaft im Bereich des Sexualstrafrechts, die wir in Deutschland der Istanbuler Konvention zu verdanken haben, fehlt noch in Spanien. Das wird am Fall "la manada" (das Wolfsrudel), in dem vor einigen Wochen das Urteil gefällt wurde, schmerzhaft deutlich: Eine 18-jährige Frau wird von fünf Männern in einen dunklen Hausflur gedrängt. Alle fünf nehmen sexuelle Handlungen an ihr vor. Sie hat keine Chance zu fliehen, wird dabei gefilmt, wie sie sich vor Schmerzen krümmt und schreit. Aber die fünf werden nicht für Vergewaltigung verurteilt, da die Täter keine direkte Gewalt angewandt haben, um sie dazu zu zwingen. Wir brauchen endlich einen einheitlichen und realitätsnahen Schutz vor Gewalt für Frauen in der ganzen EU! In vielen Ländern der EU wird weiterhin über das Übereinkommen diskutiert - wir machen uns stark für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und hören nicht auf, Fehlinformationen richtig zu stellen und den Menschen deutlich zu machen, wofür das Instrument steht und was es erreichen kann.
Maria Noichl
Mitglied des Europäischen Parlaments